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Katja Seide vom Wunschkind gibt digitale Tipps für Eltern und Kinder

Liebe Frau Seide, mit Ihren Büchern und Ihrem Blog „Das gewünschteste Wunschkind aller Zeiten treibt mich in den Wahnsinn“ erreichen Sie Abertausende von Eltern. Sie alle stehen vor der gleichen Herausforderung: Was kann ich meinen größer werdenden Kinder digital erlauben und was nicht? Genau darüber sprechen Sie bei unserer lokalen Veranstaltung blogfamiliär. Können Sie hier schon einmal die bewährtesten Tricks verraten?

Katja Seide: Der beste „Trick“, den ich Eltern immer wieder mit auf den Weg gebe, ist, zu schauen, welche Ängste eigentlich genau in ihnen ausgelöst werden, wenn ihre Kinder viel mit den Neuen Medien unterwegs sind.

Oft ist es die Angst davor, dass sie süchtig werden, dass sie das schulische Lernen und ihre Freunde vernachlässigen, dass sie dadurch aggressiv oder gar zu Amokläufern werden und natürlich auch, dass sie Opfer sexueller Übergriffe oder Mobbings werden. 

Es ist gut, sich dieser Ängste bewusst zu werden, denn oft verleiten sie uns, etwas zu verbieten, ohne groß darüber nachzudenken – was wiederum zu Konflikten mit unseren Kindern führt. 

Kennt man aber seine eigenen Ängste, dann man nachforschen, ob diese überhaupt valide sind. Und dann stellt man z.B. schnell fest, dass es zwar tatsächlich Menschen gibt, die von bestimmten Aspekten des Internets abhängig sind, aber dass das erst einmal nur ein Prozent aller Deutschen zwischen 14 und 65 Jahren betrifft. 

Und geht man noch tiefer in die Materie, stellt man fest, dass diese Menschen meist eine ganz bestimmte Art von Online-Spielen spielten (solche, die niemals enden, immer verfügbar sind, auf der ganzen Welt vernetzt gespielt werden…) und zusätzlich noch unbefriedigte Grundbedürfnisse haben. Sie also beispielsweise den Wunsch haben, wertgeschätzter Teil einer Gemeinschaft zu sein und das im realen Leben aus verschiedenen Gründen nicht so gut funktioniert. Dann wird die Online-Gemeinschaft eben Ersatzbefriedigung. 

Das Gehirn braucht von Ersatzbefriedigungen aber immer schneller immer mehr, weil sie eben nicht so vollständig die Bedürfnisse erfüllen, wie z.B. der Kontakt mit echten Menschen. Und dann manövriert man sich eben langsam in einen Teufelskreis. 

Weiß man als Eltern die Hintergründe, dann braucht man vor den neuen Medien keine Angst mehr haben, denn es eröffnen sich nun Handlungsmöglichkeiten. Bleiben wir bei dem Beispiel der elterlichen Angst vor Sucht: Die Eltern brauchen sich dann nicht mehr fragen: Wie halte ich mein Kind von den neuen Medien fern?, sondern eher: Sind alle Grundbedürfnisse meines Kindes befriedigt?

In meinem Vortrag bei Blogfamiliär gehe ich genau auf solche Elternängste ein, erkläre Zusammenhänge im Gehirn und gebe Entwarnung. Die meisten Eltern gehen sehr erleichtert aus meinen Vorträgen und die Situation zuhause mit den Kindern entspannt sich.

 Sie finden also, dass die Online-Welt für Kinder viel zu sehr verteufelt wird?

Katja Seide: Es gibt selbstverständlich Dinge in der Online-Welt, vor denen wir unsere Kinder schützen müssen. Genau wie in der richtigen Welt auch muss ich ihnen beibringen, dass es Menschen gibt, die ihnen möglicherweise schaden wollen und ich muss ihnen Handlungsalternativen an die Hand geben, um sich selbst zu schützen. Aber insgesamt haben die neuen Medien viele positive Aspekte, die den Kindern mehr nützen als schaden. 

Mein kleiner Sohn z.B. schaut sehr viele Trickfilme auf Youtube, und weil der Algorithmus dort nicht nach Sprachen differenziert, guckte er schon bald Filme auf Englisch oder Russisch. Da es ihn nicht störte, habe ich das so gelassen. Und siehe da, er fing an, immer wiederkehrende Phrasen auf Englisch zu sprechen. 

Einmal wollten wir einen Wettlauf machen, standen nebeneinander an der Startlinie und er fragte mich aufgeregt: „Are you ready?“ Ich dachte, awww, wie süß, ich antworte ihm mal auf Englisch und sagte: „I`m ready! Are you ready?“ Ich erwartete absolut keine Antwort, aber er drehte sich zu mir um, stemmte seine Arme in die Hüften und antwortete super ernst: „I was born ready!“ Ich musste so lachen, dass ich danach natürlich den Wettlauf verlor. 

Meine älteste Tochter wiederum hat mit Nintendo-Spielen Lesen gelernt. Sie fand das Lesenlernen in der Schule zu anstrengend und drückte sich immer davor. Mit Büchern durfte ich ihr keinesfalls kommen, außer, ich las sie ihr vor. Aber bei den Spielen gibt es immer Textpassagen und diese sind oft wichtig, um weiterzukommen, also entzifferte sie sie mühevoll. Sie nahm an diesem Punkt die Mühe freiwillig auf sich, weil sie es für sich und ihre Lebenswelt als relevant empfand. 

Kinder lernen viel lieber und viel intensiver mit den neuen Medien, sie werden politischer oder feministischer durch den Input ihrer Stars – viel mehr, als wenn wir Erwachsene ihnen ins Gewissen reden. Sie werden auch angeregt, Dinge auszuprobieren, auf die sie nicht von allein gekommen wären – das kann gut, aber auch sehr schlecht sein. 

Schleim herstellen lernen ist super, Geschirrspültaps als Challenge zu essen, ist scheiße. Deshalb sollten wir sie nicht allein lassen in der neuen Welt.

Welche Tipps haben Sie auf Lager, um unsere Kinder zu schützen, um ihnen einen maßgeschneiderten Umgang mit den neuen Medien zu ermöglichen?

Katja Seide: Die Gefahren sind ja eigentlich nicht so viel anders als in der realen Welt. Vor denen haben uns schon unsere Eltern und Großeltern gewarnt. Und wie haben sie gewarnt? Sie haben mit uns darüber gesprochen, auf die Gefahren hingewiesen und gezeigt, was wir machen können, wenn wir diesen Gefahren begegnen. 

Als ich ein Kind war, saß einmal ein nackter Mann im Gebüsch beim Spielplatz. Meine Freundinnen und ich waren vielleicht acht Jahre alt, uns war nicht wirklich klar, was der da eigentlich machte, aber wir wussten, dass wir zur nächsten Polizeistation gehen sollten und taten das auch. 

Heute müssen wir Eltern unsere Gespräche eben auch auf die Online-Welt ausweiten. Es kann dort zu Übergriffen kommen und unsere Kinder müssen wissen, was sie dann tun können: Zum Beispiel den Eltern die entsprechenden Nachrichten zeigen, den User anzeigen und blocken, in jungem Alter noch keine Freundschaftsanfragen annehmen, niemals den echten Namen oder Adresse nennen, keine Verabredungen online fürs echte Leben verabreden (es sei denn, mit den Eltern) usw. 

Aber: Das werden unsere Kinder nur tun, wenn wir Eltern keine allzu ablehnende Haltung zu den Neuen Medien haben oder ihnen gar verboten haben, diese zu nutzen. In solchen Fällen kommen die Kids dann eben nicht zu uns, wenn etwas online passiert ist und das kann dann durchaus böse enden. 

Klären wir unsere Kinder also auf, geben wir ihnen Handlungsmöglichkeiten an die Hand, vertrauen wir ihnen, und bleiben wir gesprächsbereit. Dann sollte das Internet ein guter Ort für sie werden.

Katja Seide auf der #blogfamiliär in Hamburg: Neue Medien und Erziehung

Was macht mein Kind im Netz? Was kann ich ihm erlauben? Wie kann ich es sensibilisieren? Wie lassen sich Medien positiv nutzen? Und welche Vorbildfunktion habe ich selbst? Das sind Fragen, die sich alle Eltern stellen. Und für sie ist unsere Veranstaltungsreihe gedacht.

Tickets für die Blogfamiliär in Hamburg gibts hier.

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